Kundenservice-Automatisierung im Dienstleistungssegment

Wir haben kürzlich bereits einen Blick auf Automatisierung in den Bereichen Marketing und Kommunikation geworfen. Heute geht es, etwas allgemeiner, um die Automatisierung im Dienstleistungssektor, der für MUUUH! besondere Relevanz hat.

Studie: Intelligente Automatisierung im Dienstleistungsmanagement

„Becoming Strategic with Intelligent Automation“, heißt der Beitrag, der im Management Information Systems Quarterly, einem Fachjournal der Wirtschaftsinformatik, das sich besonders an Praktiker:innen richtet, erschienen ist. In einem Interview diskutieren Mary Lacity (University of Arkansas) und Leslie Willcocks (London School of Economics and Political Science) die Ergebnisse eines mehr als sechsjährigen Forschungsprogramms zur intelligenten Automatisierung mit Fokus auf das Dienstleistungsmanagement.

Seit 2014 führten die Beiden hunderte Interviews, dutzende Fallstudien und eine Reihe von Umfragen durch, die die Implementierung von Hunderten von Automatisierungsprojekten mit einer Vielzahl digitaler Technologien dokumentieren. Die Ergebnisse veröffentlichten sie in einer Bücherreihe zum Thema. Ganz konkret sprechen sie in dem Interview von Triple-Wins, bedeutenden Hindernissen und sogenannten Action Principles, oder Handlungsfeldern, für die erfolgreiche intelligente Automatisierung. Diese wollen wir uns hier genauer anschauen.

Robotic Process Automation und Cognitive Automation

Zunächst unterscheiden Lacity und Willcocks zwei wichtige Bereiche: Die Robotic Process Automation (RPA) und die Cognitive Automation (CA).  

Robotic Process Automation

Bei der Robotic Process Automation handelt es sich in der Regel um die Automatisierung einfacherer, regelbasierter Prozesse. Daten zu diesen Prozessen liegen in strukturierter Form vor (z.B. in Tabellenform). In den meisten Fällen gibt es auf konkrete Anfragen an das automatisierte System nur eine richtige Antwort. UiPath ist ein Beispiel für eine bekannte RPA-Technologie.

Cognitive Automation

Dem gegenüber steht die Cognitive Automation. Hier liegen Daten in unstrukturierter Form vor, also etwa als geschriebener Freitext oder als gesprochenes Wort. CA-Systeme arbeiten inferenzbasiert, also schlussfolgernd. Es gibt mehrere mögliche Antworten und die gegebene Antwort stimmt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Diese Wahrscheinlichkeit basiert auf „Trainingsdaten“ - normalerweise sind dies historische Daten, die dem Entscheidungsalgorithmus zugrunde liegen. Im Marketing neuer Technologielösungen arbeiten viele Lösungsanbieter (zu) schnell mit dem Label Artificial Intelligence. Allerdings sind es besonders die Anwendungen im Bereich Cognitive Automation, die dieses Label verdienen. IBM Watson ist ein gut bekanntes Beispiel im Bereich der CA-Technologie.

RPA und CA kommen auch häufig bei Kundenanfragen oder dem Routing von Anfragen, also der korrekten Weiterleitung von Anfragen zu einem entsprechenden Service-Spezialisten im Kontext eines Contact Center, zum Einsatz. Sie haben also einen wichtigen Stellenwert im Kundenservice.

Ganz konkret beschreiben Lacity und Willcocks in ihrer Studie ein Beispiel von IBM: Häufige Anfragen im Customer Contact Center lauten etwa: „Mein Drucker funktioniert nicht.“ oder „Ich habe mein Passwort vergessen.“ Eine entsprechende RPA Software würde solch eine Anfrage erfassen und loggen, also ein Ticket für den entsprechenden Service Request erstellen. CA Software würde dann im nächsten Schritt eine Zuordnung – oder, in anderen Worten, den „Denkschritt“ - vornehmen. Also etwa: Handelt es sich um einen Network Support Request (Drucker) oder einen Phone Request (Passwort). Ist die Zuordnung vorgenommen, kann die RPA Software das verantwortliche Team identifizieren und dem Team das Ticket zur Bearbeitung zuweisen.

Ähnliche Anwendungsszenarien gibt es auch im Bankenwesen, bei Versicherungen, bei Finanzdienstleistern usw. Eine deutliche verstärkte Nutzung bzw. ein Wachstum in diesen Bereichen ist zukünftig zu erwarten.

Allerdings: Bei vielen Unternehmen, die aktuell bereits mit Automatisierungslösungen arbeiten, handelt es sich um Insellösungen. Das heißt, einzelne Bereiche/Prozesse wurden identifiziert und automatisiert. Was fehlt, ist eine gesamtheitliche Betrachtung und Skalierung der Automatisierungsbemühungen. Echter Mehrwert entsteht oft da, wo verschiedene Technologien und Tools auf einer (eigenen) Plattform zusammengeführt werden.

Triple Wins – Wertschöpfung durch Automatisierung

Das Forscherteam hat bei erfolgreichen Implementierungen Triple Wins bei verschiedenen Stakeholder-Gruppen beobachtet, etwa auf Unternehmensebene, bei Kund:innen und Mitarbeitenden:

Enterprise Value (Unternehmensperspektive):

  • Return-on-Invest
  • zurückgewonnene/ersparte Arbeitsstunden
  • Effizienzgewinne in den Operations
  • verbesserte Skalierbarkeit
  • Wettbewerbsvorteile
  • Brand Awareness

Customer Value (Kundenperspektive):

  • verbesserte Customer Journey
  • verbesserte Servicequalität
  • Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit
  • schnellere Lösung von Requests
  • Multi Channel Delivery (Zugriff über verschiedene Kanäle)
  • schnellere Vermittlung von menschlicher Unterstützung

Employee Value (Mitarbeiterperspektive):

  • Lernen von neuen Fähigkeiten
  • mehr Fokus auf interessante & relevante Aufgaben
  • Reputation als Innovatoren
  • höhere Mitarbeiterzufriedenheit

Risiken und Hürden bei Automatisierungsprojekten

Lacity und Willcocks haben darüber hinaus bei der Umsetzung von Automatisierungsprojekten eine Reihe von Hürden in verschiedenen Bereichen beobachtet:

Strategie

  • Fehleinschätzung des strategischen Mehrwerts
  • keine ausreichenden Ressourcen
  • Image-Schaden durch unprofessionelle Nutzung

Sourcing

  • fehlende interne Fähigkeiten, um das Projekt selbst umzusetzen
  • Auswahl falscher Partner
  • Probleme bei DSGVO & Compliance

Auswahl von Tools

  • Auswahl der falschen Tools
  • IT-Abteilung nicht ausreichend in Auswahl involviert
  • fehlende Standards führen zu Wildwuchs und Inkompatibilität in der Tool-Landschaft

Stakeholder Buy-in

  • Widerstand von Mitarbeiter:innen
  • IT nicht involviert/unkooperativ
  • Block durch Gewerkschaften
  • zu hohe Erwartungen durch das Management

Projektmanagement

  • Auswahl unpassender Use Cases, Services oder Prozesse
  • unvollständige Prozessdokumentation
  • Fehlen von Trainingsdaten für CA Software

Operative Risiken

  • unklarer operativer Ablauf/operatives Modell
  • Roboter funktionieren nicht/nicht wie erwartet
  • teure Instandhaltung/Wartung

Change Management

  • kein Change Management vorhanden
  • Training & Incentives nicht klar (HR)
  • unklares Rollenverständnis # Fehlende Kommunikation

Maturity Risk

  • Automationsinseln/fehlende Integration
  • Champions/Top Talente verlassen das Unternehmen
  • fehlendes Momentum/Nachhalten

Handlungsfelder für erfolgreiche Umsetzung von Automatisierungsprojekten

Zuletzt formulieren die Forscher:innen sogenannte Action Principles, oder Handlungsfelder, die sie bei erfolgreichen Automatisierungsprojekten beobachteten (hier lediglich ein Auszug).

Strategie

  • langfristige Orientierung zahlt sich aus
  • Formulierung unterschiedlicher Zielsetzungen für verschiedene Stakeholder-Gruppen (siehe Triple Wins)
  • Zusammenarbeit mit HR, um Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen zukunftsorientiert auszubauen und Entwicklung des Unternehmens voranzutreiben

Sourcing

  • Zusammenarbeit mit Spezialisten im Bereich des Outsourcings von Geschäftsprozessen bzw. Services/Dienstleistungen

Program Management

  • RPA kann als konventioneller Business Case gehandhabt werden (ROI)
  • CA sollte als Innovationsprozess betrachtet werden, um Experimentieren und schnelles Umlenken zu ermöglichen
  • Der Unternehmenskontext bestimmt, welche Abteilung mit den Automatisierungsprojekten in den Lead geht
  • Identifizierung von Program/Innovation Champions, die die Automatisierungsprojekte treiben

Prozessauswahl

  • “Take the robot out of the human“ – Fokus primär auf repetitive Prozesse (erlaubt Fokus auf wichtigere/kreativere/analytischere Aufgaben)
  • Fokus auf Triple Wins; Auswahl von Prozessen unterschiedlicher Zielgruppen
  • Reparatur dysfunktionaler Prozesse vor der Automatisierung – ein kaputter Prozess wird nicht besser, wenn man ihn automatisiert

Toolauswahl

  • Nutzung von kontrollierten Experimenten ermöglicht Vergleich zwischen unterschiedlichen Tools und deren Wirkung
  • Best-in-Class statt Schweizer Taschenmesser: zu bevorzugen sind verschiedene Tools, die in ihrer speziellen Nische sehr gute Ergebnisse liefern anstelle eines Tools, das alles ein bisschen kann
  • Transparenz und gute Zusammenarbeit mit dem Provider der CA Software, um kontinuierlich anpassen/verbessern zu können (sieh auch: Beitrag zum Vertrauen im Outsourcing)

Stakeholder Buy-in

  • C-Suite Support/Executive Sponsor
  • Zusammenarbeit und Kommunikation mit Mitarbeiter:innen, um den Wandel der Aufgaben gemeinsam zu antizipieren und gestalten
  • Ergebnisse sollten als gewonnene/ersparte Arbeitszeit kommuniziert werden, damit Fokus auf „wertstiftendere Arbeit“ erhalten bleibt

Design, Build and Test

  • Fokus auf einige, wenige Prozesse, die einen großen Teil der Transaktionen/Wertschöpfung ausmachen
  • Die Aufbereitung/das Säubern der Daten, die für das Training der CA-Algorithmen notwendig sind, wird mit großer Wahrscheinlichkeit anspruchsvoller, als vorab vermutet

Run

  • Anpassung der Mitarbeiterziele, damit Produktivitätssteigerungen durch Automatisierung (oder auch Hindernisse) sauber erfasst werden können
  • Kunden zum Testen des automatisierten Service animieren, aber dabei auch andere Kanäle geöffnet lassen, um optimalen Service zu gewährleisten
  • Kunden um Feedback bitten
  • kontinuierlicher Einsatz von Service-Spezialisten, die die Inhalte der Automatisierung auf dem neusten Stand halten (z.B. bei Produkt-Updates)

Maturity

  • Übertragen einer erfolgreichen Automatisierung auf weitere Prozesse, mit schneller Skalierungsmöglichkeit
  • Aufbau eines Center of Excellence, um Automatisierungswissen zu bündeln und der Organisation zur Verfügung zu stellen
  • Integration von RPA und CA, um verschiedene Prozessschritte miteinander zu verknüpfen (wie im IBM-Beispiel oben)

In Summe fassen Lacity und Willcocks die Handlungsfelder mit folgendem Slogan zusammen:

Think big, start small, institutionalize fast, innovate continually.

Dieser Slogan ist sicherlich für viele andere digitale Innovationen und Transformationsprogramme treffend. Insbesondere der kleine Start mit kontinuierlichen Verbesserungsschleifen steht aber in Kontrast zu den vielfach gelernten Werten – insbesondere im deutschen Ingenieurs- und Tüftlerdenken – dass Lösungen perfekt durchdacht und am Ende auch einwandfrei funktionieren müssen. Das ist nur ein Beispiel, wo ein Kulturwandel im digitalen Raum notwendig ist.

Ein Ausblick: Die beiden Forscher beobachten ebenfalls eine starke Zunahme von Automatisierungsprojekten, die über die Automatisierung interner Prozesse hinausgehen, bei denen also mehrere innovative Partner aus dem Ökosystem zusammenarbeiten. Solch eine Zusammenarbeit lebt MUUUH! in vielen Kundenprojekten bereits heute.

Autor: Prof. Dr. David Wagner

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MUUUH! Next hat sich auf die Automatisierung des digitalen Dialogs spezialisiert. Wir verfügen über breite Expertise in der Konzeption und Entwicklung von sprach- und textbasierten Chatbots für die Kanäle Call, WhatsApp, Alexa & Co. Gern unterstützen wir Sie bei Auswahl und Implementierung der passenden Werkzeuge, der Schulung von Mitarbeitenden oder der Automatisierung von Prozessen im Kundendialog.

Ansprechpartner

Ben Ellermann

Managing Director MUUUH! Next
Ben Ellermann war bereits vor dem Facebook Hype für das Soziale Netzwerk stayblue.de in verschiedenen Spezialisten- und Führungsrollen der Bereiche...

E-Mail: ben.ellermann@muuuh.de

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