Contact-Center-Digitalisierung erfolgreich managen

Kurioser Raum mit Telefon und Wanddekoration

Schritt 1: Zielbild

Die Digitalisierung von Contact-Centern sollte niemals in einem „luftleeren Raum“ geschehen, sondern muss immer eine klare Verbindung zum gesamtunternehmerischen Kontext und damit zur strategischen Ausrichtung eines Unternehmens haben. Vision und strategischer Plan, unternehmerische Ziele, Markenkern und Markenassoziationen, notwendige Zielkultur – sie alle haben einen steuernden und regulierenden Charakter für die heutige und zukünftige Ausrichtung eines Contact-Centers – und damit auch in der Fragestellung der Digitalisierung. Es muss im ersten Schritt folglich ein Zielbild für das Contact-Center entwickelt und verabschiedet werden oder vorhanden sein, bevor Entscheidungen zur Vorgehensweise in der Digitalisierung getroffen werden.

Ein Zielbild ist dabei eine präzise, beschreibende Darstellung eines organisationalen Soll-Zustands, der aus dem strategischen Plan des Gesamtunternehmens abgeleitet ist, der als attraktiv gilt und der erreicht werden soll. Ein Zielbild enthält üblicherweise Elemente wie etwa ein Vision-Statement, ein Mission-Statement, die Werte/Ziel-Kultur, Targets und KPI, Leistungsbestandteile und USP/Differentiators etc.

Das Zielbild ist relevant, weil es das Framework für die Digitalisierung im Contact Center bildet und alle relevanten Betrachtungswinkel zusammenführt, die zu berücksichtigen sind.

In diesem Artikel zur Zielbildentwicklung schildern wir alle Elemente und Schritte detailliert.

Schritt 2: Gap-Analyse

Wenn mit dem Zielbild das Framework für die Entwicklung und Digitalisierung eines Contact-Centers beschrieben ist, geht es im nächsten Schritt darum, den aktuellen Ist-Zustand zu erfassen und mit dem Zielbild zu vergleichen, um die „Entfernung zwischen Ist und Soll“ zu bewerten (Gap-Analyse). Dieser Schritt auf Basis konkreter Bewertungskriterien und -methoden ist die notwendige Grundlage für eine systematische Erhebung darüber,

  • wie groß die Entfernung zum Zielzustand ist, die es zu überbrücken gilt
  • welche Maßnahmen sich daraus ableiten lassen
  • wie diese Maßnahmen im Sinne einer Wirkung-Aufwand-Relation (Impact-Effort-Matrix) zu bewerten sind.

Im Ergebnis stellt eine strukturierte Gap-Analyse somit bewertete Handlungsfelder priorisiert zur Verfügung und bildet damit die Grundlage für die Konkretisierung eines umfassenden Projektplans zur Digitalisierung eines Contact-Centers.

Schritt 3: Value Irritant

Während Schritt 1 die grundsätzliche Ausrichtung des Contact-Centers definiert und Schritt 2 die dringendsten Themen auf dem Weg zum Ziel konkretisiert, beschäftigt sich Schritt 3 nun innerhalb dieser Handlungsfelder mit der Beantwortung der Frage, wo genau die Digitalisierung von Prozessen ansetzen sollte. Diese Ankerpunkte lassen sich ideal mittels einer sogenannten „Value Irritant Matrix“ definieren.

Die Value Irritant Matrix ist ein Ordnungsschema. Es zeigt Kontaktanlässe – sortiert und klassifiziert nach ihrer Wertigkeit für Kunden und das Unternehmen – und offenbart über diese Klassifizierung konkrete Digitalisierungsansätze. Die Einordnung der Kontaktanlässe übernehmen üblicherweise ausgewählte Experten aus der Organisation gemeinsam mit externen Beratern. Im Ergebnis zeigt die Value-Irritant-Matrix genau jene Kontaktanlässe und -gründe mit eher geringem Mehrwert für den Kunden und für das Unternehmen. Folgerichtig sind es primär diese Kontaktanlässe, bei denen eine kostenintensivere, persönliche Bearbeitung weniger potenzial- und wertschöpfend ist.

Aber Achtung! Unsere bisherige Projekterfahrung zeigt allerdings, dass bei der praktischen Anwendung der Value-Irritant-Matrix häufig ein relevantes Bewertungskriterium außer Acht gelassen wird. Denn nicht alle Kontakte, die laut Matrix und Experten als automatisierbar und digitalisierbar gelten – und folglich über einen alternativen Kanal „effizienter“ abgebildet werden könnten – sind dort auch gut aufgehoben. Vielmehr empfiehlt es sich, gewisse Kontakte trotz der Matrix-Diagnose in einer persönlichen Betreuung und Bearbeitung zu belassen – nämlich immer dann, wenn für diesen Kontakt ein hohes Potenzial für z.B. Inbound-Sales besteht. Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel zum richtigen Umgang mit der Value Irritant Matrix.

Im Ergebnis sind nach Schritt 3 alle relevanten Handlungsfelder umsetzungsreif identifiziert und wir wissen also, wohin wir wollen, wie wir da hinkommen und wo wir anfangen müssen. Doch sind damit alle relevanten Fragestellungen schon beantwortet für eine erfolgreiche Digitalisierung eines Contact-Centers? Sicher nicht. Denn es gibt weitere Einflussgrößen zu berücksichtigen, die im Weiteren exemplarisch kurz beschrieben sind.

Einflussgröße 1: Reziprozität

Im Zeitalter der Digitalisierung erleben Kunden im Kontakt mit Unternehmen zunehmend rasante Veränderungen, die sie wenigstens teilweise auch selbst einfordern. Die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme und Kommunikation werden immer einfacher, multi-„kanaler" und individueller. Ein Contact-Center spielt im Rahmen dieser sich verändernden Kommunikationskultur nach wie vor eine zentrale Rolle für Unternehmen und bildet einen relevanten Baustein dieses Change-Prozesses. Aber nicht nur Kunden erleben diese Veränderung, sondern auch der Contact-Center-Mitarbeiter. Aufgaben und Abläufe, die er vielleicht über viele Jahre routiniert und souverän abgebildet hat, fallen auf einmal weg oder verändern sich, während neue Aufgaben und Abläufe hinzukommen. Aufgebaute Verhaltens- und Denkautomatismen müssen somit neu justiert und trainiert werden, neue Skills werden erforderlich, vorhandene Skills verlieren womöglich an Relevanz. Und somit muss Digitalisierung nicht nur prozessual und systemisch Richtung Kunde „gedacht und gemacht“ werden, sondern auch Richtung Mitarbeiter und Führungskräften.

Eine Voraussetzung für diese Denkrichtung ist ein umfassendes (aber immer noch ausreichend pragmatisches) Kompetenzmodell für Mitarbeiter und Führungskräfte, mit Hilfe dessen die Veränderung in den Ausprägungsgraden von relevanten Kompetenzen pro Aufgabe und Rolle festgehalten und anschließend in eine Qualifizierungsmatrix transferiert werden können. Denn nur wenn Mitarbeiter und Führungskräfte für die digitale Veränderung zielgerichtet qualifiziert werden, kann diese in Unternehmen und – in diesem Kontext – in Contact-Centern auch erfolgreich gelingen.

Die Digitalisierung von Contact Centern erfordert also das Prinzip der Reziprozität und ist damit ein Prozess, der in Richtung und Kunde und Mitarbeiter gedacht und projektiert werden muss.

Einflussgröße 2: Change

Wenn Digitalisierung Veränderung bedeutet und die Annahme gilt, dass Change zur einzigen Konstante im gesellschaftlichen und unternehmerischen Leben wird, dann ist das Management von Veränderungen eine weitere Stellgröße, die im Rahmen der Digitalisierung von Contact-Centern eine relevante Rolle spielt.

Im Rahmen des Veränderungsmanagements ist insbesondere die Frage zu stellen, wie Mitarbeiter und Führungskräfte im Digitalisierungsprozess „mitgenommen“ werden können. Eine grundlegende Logik, Veränderungen bewusst zu begleiten, ist der klassische Dreiklang von

  • Informieren: Jeder (betroffene) Mitarbeiter muss transparent und zeitgerecht Zugang zu den für ihn relevanten Informationen im Kontext der Veränderung haben. Dabei müssen Informationen sowohl aktiv an ihn herangetragen werden als auch von ihm aktiv eingesehen werden können.
  • Beteiligen: Jeder (betroffene) Mitarbeiter muss die Möglichkeit bekommen, an (ausgewählten) veränderungsrelevanten Inhalten mitarbeiten und mitentscheiden zu können.
  • Befähigen: Jeder (betroffene) Mitarbeiter muss ein Qualifizierungsangebot erhalten, das ihn auf denk- und verhaltensbezogene Veränderungen trainiert und vorbereitet.

Während insbesondere das Befähigen die Brücke zu den Ausführungen unter „Reziprozität“ schlägt und auf systematische und kompetenzgeleitete Qualifizierung abzielt, sind „Informieren“ und „Beteiligen“ Handlungsnotwendigkeiten, die sich auf internes Kommunikationsmanagement und interne Work-Formate beziehen. Die grundsätzliche Struktur eines geplanten Veränderungsmanagements ist dabei aber immer von Unternehmen zu Unternehmen und von Contact-Center zu Contact-Center individuell aufzubauen.

Einflussgröße 3: Technologie

Relevanten Einfluss auf die Digitalisierung von Contact-Centern nehmen zudem das sogenannte „Technology Landscaping“ und das „Technology Trendscouting“. Darunter versteht man die kontinuierliche Verlinkung von Technologie-Einsatzorten im Contact-Center mit

  • aktuellen technologischen Entwicklungen und Entwicklungsprognosen sowie
  • den entsprechenden Anbietern im Markt samt Bewertung dieser Anbieter

Viel zu häufig fehlt in der Praxis diese sich ständig verändernde und damit zu managende Übersicht mit der entsprechenden Bewertung und Trends, um Optionen zu finden sowie um Seriöses von Unseriösem unterscheiden zu können. Landscaping und Trendscouting sind wie ein Navigator, der regelmäßig die Möglichkeit aufzeigt, wo, wann und mit wem im Rahmen einer fortschreitenden Digitalisierung die nächste Evolutionsstufe in welche Richtung erklommen werden kann. Richtung kann in diesem Kontext bedeuten, Impulse zu erhalten, wie bestehende Prozesse für sich genommen digitalisiert oder wie bestehende Prozesse über technologische Möglichkeiten zusammengefasst und digitalisiert werden können. Landscaping und Trendscouting helfen somit, Technologie als Enabler und Ideengeber für kontinuierliche Entwicklung wirklich nutzbar zu machen.

Fazit

Mit einem zusammenfassenden Blick auf die Digitalisierung von Contact-Centern lassen sich als Fazit folgende Empfehlungen festhalten.

  1. Digitalisierung muss zielgerichtet erfolgen: Die Ausgangspunkte der Digitalisierung sind immer die (gesamtunternehmerische) Strategie und die (gesamtunternehmerischen) Ziele. Sie sind der Kompass für jegliche Überlegungen und Umsetzungen von „Digitalisierung“ und geben Richtung und Taktung vor. Ein Außerachtlassen dieses Kompasses führt unweigerlich zwar dennoch zu Entwicklungen, aber zumeist vorrangig zu Kontraproduktivität und mittelfristiger Konzeptlosigkeit.
  2. Digitalisierung ist Veränderung und muss begleitet werden: Die Kultur einer Organisation kann im Idealfall ein großer Promoter für die Digitalisierung sein, zumeist ist sie aber deren größter Verhinderer. Eine Digitalisierungsstrategie muss von daher immer zielgerichtet aufgesetzt und im Sinne eines professionellen Veränderungsmanagements mit und für die Menschen „gedacht und gemacht“ sein. Erst dann kann und wird sie von der Organisationskultur angenommen werden. Nicht umsonst hat Peter Drucker einst gesagt, „Culture eats strategy for breakfast“.
  3. Digitalisierung muss sinnvoll erfolgen: Die Frage nach dem Sinn ist in diesem Kontext die Frage nach dem „Wo/Womit fange ich an?“. Die Value Irritant Matrix als eine Option der Strukturierungshilfe zeigt, dass Digitalisierung immer dort sinnvoll ist, wo Bestehendes eben aktuell keinen wirklichen mehr Sinn ergibt – weder für den Kunden noch für die Organisation. Aber ob das Bestehende sinnvoll oder weniger sinnvoll ist, bedarf einer genauen Prüfung und Bewertung, bevor über die Matrix die Prozesse identifiziert sind, die als das „Wo“ für Digitalisierung benannt werden können.
Ansprechpartner

Matthias Schulte

Partner
Seit Anfang 2000 ist der diplomierte Psychologe fester Bestandteil des Teams von MUUUH! Consulting. Er berät und begleitet bis heute...

Telefon: +491703736886
E-Mail: matthias.schulte@muuuh.de

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