Neue Wettbewerber drängen auf etablierte Märkte, neue Geschäftsmodelle stellen in tradierten Unternehmen und Branchen die Existenzfrage und neue Möglichkeiten der Technologie inspirieren Menschen und ganze Gesellschaften zu Kreativität und Flexibilität und verängstigen sie im selben Augenblick in gleichem Maße.
Denken und Methoden sollen auf einmal nicht mehr klassisch, sondern agil sein. Herausforderungen werden zu Friktionen. Maschinen wirken effektiver und effizienter, wo einst Menschen noch engagiert und zielbewusst agiert haben. Pilotierungen werden zu Labs. Und Sprache, Emotionen und Empathie werden zunehmend von Softwarelösungen ersetzt, die einen Unterschied zum Menschlichen kaum mehr erkennen lassen.
In dieser Zeit sind Unternehmensführer und Manager mehr denn je gefordert, Strategien zu entwickeln und umzusetzen, die eine erfolgreiche Zukunft auch dann garantieren, wenn ebendiese Zukunft gefühlt schneller eintritt als je zuvor.
Und in dieser Zeit wird ein Begriff häufiger kolportiert als jeder andere: Change! Der Ruf nach professioneller und gemanagter Veränderung schallt immer lauter. „Die Menschen mitnehmen“ wird zu einer existenziellen Maxime in Unternehmen. Doch was bedeutet es eigentlich, die Menschen „mitzunehmen“? Wie lässt sich eine Veränderung erfolgreich gestalten? Insbesondere wenn die Wissenschaft schon längst belegt hat, dass ein Großteil der Menschen aufgrund ihrer neuro-biologischen Struktur kulturübergreifend nicht in der Lage ist, sich auf Anhieb Veränderungen offen zu stellen, sondern darauf aus ist, Bestehendes zu bewahren (Quelle: Häusel, 2011)?
Fragt man einen professionellen HR-ler, so ist die erste Antwort auf diese Frage der klassische Dreiklang: 1) Informieren, 2) Beteiligen, 3) Befähigen. In der einfachen Übersetzung bedeutet das: Sage den Menschen, was sich wie und warum wann für Sie verändert; binde die Menschen in den Prozess ein und lass sie mitgestalten und mitentscheiden, wo es möglich und sinnvoll ist; qualifiziere die Menschen und versetze sie in die Lage, neue Anforderungen motivational und behavioral umsetzen zu können.
Schaut man etwas detaillierter auf einen Veränderungsprozess, so zeigen sich im Kern vier Perspektiven auf Change, die von verantwortlichen Unternehmensführern und Managern bewusst bewertet, geplant und gemanagt werden müssen.
Perspektive 1: Die Change-Formel
In der übergeordneten Betrachtung lässt sich ein erfolgreicher Change-Prozess in eine Art mathematischer Gleichung abbilden (Quelle: Schulte, 2015). Diese Gleichung beschreibt dabei Change als Produkt vier relevanter Faktoren, die allesamt und gleichermaßen gegeben sein müssen, um Veränderungsprozesse in Unternehmen erfolgreich zu gestalten.
C (Change) = U (Unzufriedenheit) x Ziel (Zielbild) x Plan (Weg zum Ziel) x
K (Kapazität – Ressourcen und Kompetenzen)
Was bedeuten diese Faktoren im Einzelnen?
- U bedeutet, dass ein erfolgreicher Change-Prozess als Voraussetzung eine ausreichende Durchdringung von Unzufriedenheit mit dem Status Quo benötigt. Genau hier zeigt sich bereits ein erster typischer „Störfaktor“ für Veränderung. Denn in der Regel ist das Management Auslöser für Veränderungsprozesse, weil es mit einem Status Quo nicht zufrieden ist aufgrund von Marktzahlen, Prognosen, Aktionärsdruck etc. Die Mitarbeiter hingegen sind von solchen Informationsquellen abgeschnitten und dementsprechend mit dem Status Quo eher zufrieden, aber vielleicht nicht mit dem Management. Es fehlt häufig also gleich zu Beginn an Änderungseinsicht, weil ein und dieselbe Ausgangssituation unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird. Diese Unterschiede sind vielleicht nicht immer zu vermeiden, aber sie sind häufig vielmehr ein Resultat eines unzureichenden Informationsmanagements in Unternehmen als ein Ergebnis unvermeidbarer Regulatorik oder Restriktionen.
- Z bedeutet, dass Unternehmen ein klares und kommunizierbares Zielbild benötigen, wohin die Veränderung ganz konkret führen soll. Nur ein klares, eindeutiges und verständliches Zielbild kann eine gesamte Organisation hinter sich versammeln und als Kompass für einen Veränderungsprozess und die Veränderungsbereitschaft und Veränderungsmotivation eines jeden einzelnen dienen. Auch dieser Faktor ist viel zu häufig in Unternehmen nicht in dem Maß vorhanden, wie es erfolgreich zu managende Veränderungsprozesse benötigen. Vorhandene Zielbilder sind nicht eindeutig genug, nicht verständlich kommuniziert oder bisweilen überhaupt nicht vorhanden. Die Konsequenzen daraus zeigen sich z.B. darin, dass in Deutschland jeder zweite angestoßene Veränderungsprozess scheitert (Quelle: Springer für Professionals, 2012).
- P bedeutet, dass Unternehmen nicht nur ein klares Zielbild benötigen, sondern auch einen klar beschriebenen Plan/Prozess, wie dieses Zielbild erreicht werden soll. Das P in der Formel adressiert im Kern folglich die Planungs- und Projektmanagementkompetenz in Organisationen. Ein klar kommunizierbares Zielbild und ein klar kommunizierbarer Plan sind die Basis für Vertrauen in die Führung und das Management und damit ein weiterer Grundpfeiler für die Fähigkeit, Menschen in Organisationen „mitzunehmen“.
- K bedeutet, dass Unternehmen die Kapazität benötigen, Veränderungen erfolgreich zu gestalten. Hierbei sind sowohl die Kapazitäten im Sinne von Ressourcen gemeint als auch Kapazitäten im Sinne von Kompetenzen. Veränderungsprozesse können nur erfolgreich gestaltet werden, wenn verantwortliche und eingebundene Mitarbeiter Zeit bekommen, sich um den Change „kümmern“ zu können; eine Change-Gestaltung „nebenbei“ wird nicht zu gewünschten Resultaten führen. Und Change braucht Mitarbeiter, die über die notwendigen (psychologischen) Skills verfügen, zum Ziel passende Maßnahmen zu identifizieren, aufzusetzen und umzusetzen. Das Fehlen entsprechender Qualifizierungen in Unternehmen ist ein weiterer Grund, warum Veränderungsprozesse viel zu häufig nicht die Ergebnisse erzielen, die im Sinne des Ziels wünschenswert sind.