Experten zur Zukunft des Contact Centers

Erkenntnisse einer Podiumsdiskussion bei callcenter@work 2017

Sterben Contact Center aus? Bedeutet bessere Bezahlung auch besserer Service? Nicht immer waren die geladenen Experten einer Meinung, als sie ihre Zustimmung zu diesen und anderen Thesen mithilfe einer siebenstufigen Skala ausdrückten (0 Sterne = Stimme gar nicht zu / 7 Sterne = stimmen vollkommen zu). In Summe zeichneten die persönlichen Einschätzungen jedoch ein differenziertes und aufschlussreiches Bild von der künftigen Servicewelt.

These 1

Die Digitalisierung wird die meisten Arbeitsplätze im Contact Center überflüssig machen.

Hartmut Anderer ••

Rolf Esau •••••

Jörg Kaiser •••

Sehr wohl werde man auch in Zukunft Mitarbeiter in Callcentern beschäftigen müssen, wolle man die Effekte der KI voll ausspielen können, erklärte Ityx-Director Rolf Esau. Tendenziell würde er der These aber dennoch eher zustimmen. Jörg Kaiser von der Barmer GEK bewertete die Perspektiven der Arbeitnehmer im Callcenter hingegen weit weniger kritisch. Die Kunden wünschten heutzutage immer seltener persönliche Beratung vor Ort. Sein Unternehmen habe aus diesem Grund in den letzten Jahren etliche lokale Dependancen geschlossen und im Gegenzug mehrere große Callcenter aufgebaut. Auch Hartmut Anderer geht davon aus, dass es für Service immer Mitarbeiter geben wird – auch wenn sich durch die Digitalisierung in den kommenden Jahren seiner Vermutung nach ca. 25-40% der Arbeitsplätze hin zu hochwertigem Service bewegen wird.

These 2

Contact Center werden klassische Vertriebsorganisationen ablösen.

Hartmut Anderer: ••••••

Rolf Esau ••••

Jörg Kaiser •••••

Fast uneingeschränkte Zustimmung zu dieser steilen These gab es vom Convergys-Mann Hartmut Anderer. „Fast hätte ich eine sieben geben“, erklärte der vormalig Vertriebsleiter von buw. Zwar werde es auch in Zukunft noch Bereiche geben, die über den Außendienst oder Accountmanager laufen, insbesondere dann, wenn es um große Investitionen geht. „Das Telefon ist aber ein unschlagbar praktischer und schlagkräftiger Vertriebskanal“, unterstreicht Anderer vehement. „Denken sie an „Sales im Service“, da sprechen Sie den Kunden im idealen Moment an.“ Reiner Sales im Outbound sei in Deutschland hingegen faktisch tot, ergänzt Anderer. Auf der roten Liste sieht zudem Jörg Kaiser den klassischen Handlungsreisenden oder Vertreter. „Der Verkäufer, der beim Kunden zuhause auf dem Sofa sitzt, stirbt aus“, so der Versicherungsexperte. Rolf Esau mag an das Ende der Vertriebsorganisationen hingegen noch nicht so recht glauben: „Es kommt auf das Produkt und auf die Branche an. Ein Auto kaufe ich nicht online.“ Er ist überzeugt, dass Menschen weiterhin etliche Dinge über den klassischen Vertrieb erleben möchten.

These 3

Kunden werden einfache Fragestellung im Self Service lösen. Komplexe Fragestellungen bleiben Inhouse. Contact Center sterben aus.

Hartmut Anderer: •

Rolf Esau •••••

Jörg Kaiser ••••

„Wir wollen keine Outsourcer eliminieren“, beteuert Technikanbieter Rolf Esau. Dennoch konnte er dieser These viel abgewinnen. Natürlich gäbe es Projekte, wo das Wissen der Kundenbetreuer Fortschritte im Self Service erst ermögliche. Die Quintessenz bleibt: „Self-Service-Ansätze sind heute ohne Weiteres möglich und im Kommen, und werde Contact Centern Marktanteile nehmen.“ Barmer-GEK-Vertreter Jörg Kaiser stellt die Frage nach der Qualität: „Dienstleister ohne Expertise fliegen mittelfristig raus. Qualität wird zunehmend zum entscheidenden Faktor, weil Kosten eine immer kleinere Rolle spielen.“ Das hörte Hartmut Anderer gerne, er hält die These insgesamt für Unfug: „Es wird auch in der neuen Welt Bedarf an guten Dienstleistern geben, die Peaks und Randarbeitszeiten abdecken und in puncto Kundenservice so gut sind, dass auch eine Inhouse-Organisation davon lernen kann. Das ist ein Geben und Nehmen.“ Weil Mitarbeiter immer bessere Skills benötigten, stünde auch der Mindestlohn zunehmend weniger im Fokus – „eine Sicht, die auch unsere Kunden zunehmend teilen“, beteuert Anderer. Brancheninsider Kaiser ergänzt: Während etwa im Krankenkassenbereich längst nicht alles outgesourct werden dürfe, was prinzipiell möglich wäre, sähe das etwa im Telko-Bereich ganz anders aus. Manche Anbieter beschäftigten nur noch Dienstleister.

These 4

Gesprächsleitfäden und technologische Dialogunterstützung schaden der Natürlichkeit des Dialogs und daher mittelfristig der MA und Kundenzufriedenheit.

Hartmut Anderer: •••••

Rolf Esau •••

Jörg Kaiser •••

Sowohl Jörg Kaiser als auch Rolf Esau standen dieser These tendenziell kritisch gegenüber: „Starre Leitfäden sterben aus diesem Grund aus“, erklärte etwa der Chef der Barmer-Telefonie Kaiser. Allerdings mit der Einschränkung, dass „je komplexer das Produkt, desto besser auch ein Roter Faden“ sei. „Schnee von gestern“, sekundierte Rolf Esau und beschrieb seine ideale Informationswelt: „Ein Servicemitarbeiter muss am Bildschirm realtime mit den notwendigen Informationen versorgt werden, etwa, welche Lösung beim betreffenden Anliegen die beste Erfolgschance hat. Das geht heute technologisch, die Hürden sind organisationaler Natur.“ Einem guten Gesprächsleitfaden kann hingegen Hartmut Anderer einiges abgewinnen. „Es gibt Must haves, die zwingend in den Dialog hineingehören. Dieser rote Faden darf nicht zu einem Korsett versponnen sein. Vielmehr muss er den Agenten in die Lage versetzen, eine kundenindividuelle Konversation zu führen.“

These 5

Solange Unternehmen nicht bereit sind, den Wert des einzelnen Kundenkontaktes höher zu bemessen und zu vergüten, können sie ihre hohen Serviceversprechen im persönlichen Kontakt nicht halten.

Hartmut Anderer: •••••••

Rolf Esau ••••••

Jörg Kaiser •••••••

Die abschließende These einte das Podiums-Trio ungewohnt deutlich. „Firmen müssen deutlich kundenzentriert denken und sich noch viel mehr auf den Endkunden einlassen“, mahnte der Ityx-Director Esau und ergänzte: „Dieses Bestreben unterstützen wir bei Ityx technologisch, aber ich spreche da auch aus meiner ganz persönlichen Kundensicht.“ Dem pflichtete Jörg Kaiser überraschend klar bei: „Guter Service kostet Geld. Qualität spielt aber in der unternehmerischen Realität nicht die notwendige große Rolle.“ Erst, wenn man als Auftraggeber bereit sei, für guten Service faires Geld zu zahlen, ändere sich etwas, so Kaiser. Seine eigenen Marktbeobachtungen geben Hartmut Anderer Anlass zur Hoffnung: „Wir erleben gerade, dass immer mehr Unternehmen den Service wieder in den Fokus ihrer Unternehmensstrategie stellen.