Next Best Offer – verkaufen um jeden Preis?

Matthias Schulte

Die Banken sind auch hierzulande im Neuland angekommen. Was steht denn bei den Finanzinstituten auf der Digitalisierungs-Agenda?

Matthias Schulte: Banken sind einem konstant hohen Wettbewerbsdruck ausgesetzt, auch der gesellschaftliche Druck ist groß. Entsprechend breit sind die Digitalisierungsansätze der Banken gestreut. Und natürlich geht es dabei am Ende immer um Wirtschaftlichkeit, um nachhaltige Effektivitäts- und Effizienzgewinne. Und es geht in diesem Kontext um die Sicherung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit, um die Anpassung an neue Kundenanforderungen und an verändertes Kundenverhalten. Da sehen wir inzwischen viele spannende Entwicklungen und Good Practices. Wir müssen aber auch sagen: Die FinTechs dieser Welt geben weiterhin die Richtung und Taktung vor, sowohl beim Grad der Innovation als auch beim Tempo.

Das klingt nach einem hart erarbeiteten zweiten Platz für die ehemaligen Platzhirsche?

Die etablierten Banken müssen tatsächlich weiterhin hart an sich arbeiten, wollen sie ihre Marktanteile in die neue digitale Normalität hinüberretten. Zu den gleichen Ergebnissen kommt eine Befragung von mehr als 500 Führungskräften, der Financial Times Focus und Mambu, aus dem Jahr 2021. Sie trägt den vielsagenden Titel „Evolve or be extinct“. Mehr als 2/3 der Befragten glauben, ihr Unternehmen wird schrumpfen, wenn es die Digitale Transformation nicht signifikant beschleunigt. Fast 60 Prozent glauben sogar, ihr Kreditinstitut wird in der nächsten Dekade vollständig von der Bildfläche verschwinden, wenn es nicht gelingt, das Geschäftsmodell anzupassen. Doch neben der Zukunftssicherheit birgt die Digitalisierung meiner Meinung nach auch Risiken, insbesondere dann, wenn der Prozess vorrangig oder nur von ökonomischen oder ökonomie-nahe Interessen geleitet wird.

Aber letztlich geht es bei der digitalen Transformation von Betrieben doch immer auch um Ökonomie. Was genau sind deine Bedenken?

Ich bin kürzlich auf die Mitteilung eines Finanzinstituts gestoßen. Das Unternehmen hat gemeinsam mit einem weltweit führenden IT-Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen eine Software-seitige Unterstützung von Berater:innen in Kundengesprächen eingeführt. Die Bank beschreibt in ihrer Veröffentlichung, wie die neue Anwendung künstliche Intelligenz und datenbasierte Affinitäts-Scores nutzt, um anhand der Berechnungen kontinuierlich neue Produkte zu empfehlen. Die können und sollen von den Berater:innen dann im laufenden Kundengespräch platziert und angeboten werden. Das Prinzip hinter dieser Idee heißt Next Best Offer.

Vom Grundsatz her gibt es solchen Software-Support für Berater:innen bereits seit Mitte der 2000er Jahre, die Technologie ist bereits in zahlreichen Branchen gängige Praxis. Ursprünglich nannte sich das Prinzip allerdings Next Best Action oder Next Best Activity. Und genau in diesem veränderten Namen steckt auch eine veränderte Haltung. Denn nicht der konstante Verkaufsversuch von Produkten stand im Vordergrund, sondern die Empfehlung von Handlungen, Maßnahmen oder Informationen, die die Beratungsqualität verbessern sollen.

Wie interpretierst Du diese Verschiebung?

Die neue Prämisse einer fokussiert Sales-getriebenen Next Best Offer zeigt vielleicht recht unverblümt eine sehr einseitige Strategie. So lassen sich die Chancen der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz bei weitem nicht ausschöpfen. Um ein Beispiel zu nennen, eine solche Anwendung könnte den Berater:innen ja auch eine Hilfestellung geben, wie lange es im Kontakt braucht, um einen individuellen Kundenbedarf wirklich zu verstehen. Oder wie Empathie und Einfühlung ausgedrückt werden können. Oder wie Aktives Zuhören wirklich funktioniert. Es sind hier vermutlich noch unendlich viele weitere Hilfestellungen für Verhaltensweisen, die ein angenehmes und positives Kundenerlebnis fördern, denkbar.

Eine gute Customer Experience und mehr Sales schließen sich doch aber nicht aus.

Ganz im Gegenteil, sie gehören sogar untrennbar zusammen! Aber man muss es eben richtig machen. Eine einseitige Offensichtlichkeit der Verkaufsambitionen eines Beraters oder einer Beraterin sind aber nicht der richtige Weg, auch nicht Software-optimiert. Grundsätzlich muss man für sich als Unternehmen einmal ganz ehrlich die Frage beantworten, ob die Technologie dabei helfen soll, ein gutes Beratungsgespräch zu führen, oder ob ich alles daransetze, einen Verkauf abzuschließen. Je mehr der Abschluss das Denken und die Strategie dominiert, desto unwahrscheinlicher kommt ein wirklich gutes Beratungsgespräch zustande. Dabei versprechen viele Banken und Finanzdienstleister ihren Kund:innen aber doch genau das: die ganzheitliche Beratung.

Anders gesagt: Wir erhöhen die Kundennähe nicht automatisch, nur weil wir mithilfe unserer Business Intelligence herausgefunden haben, was der Kunde kaufen würde. Das ist nicht „Customer Centricity“, sondern „Company Centricity“ – eine organisationale Egozentrik im Gewand der Kundenorientierung.

Führt der Weg zurück zum persönlichen Berater am Bankschalter?

Nein. Die Digitalisierung ist alternativlos und hoch relevant, sie kann das Leben von Menschen erleichtern – von Mitarbeiter:innen ebenso wie von Kund:innen. Aber ihre Umsetzung, ihre Anwendung, sollte nie ohne eine humanistische Grundhaltung erfolgen. Wir brauchen ein Regulativ für unsere ökonomischen Ziele und Erwartungen, ein Ethos. Dieses unternehmerische Ethos im Umgang mit den digitalen Möglichkeiten und Entwicklungen wird auch darüber entscheiden, inwieweit Kund:innen ihrem Finanzdienstleister auch künftig Loyalität entgegenbringen. Digitalisierung ohne Ethos bedeutet technologischen Fortschritt ohne Inhalt, ohne die originären Wurzeln und ohne den ursprünglichen Unternehmenszweck vieler Banken und Finanzdienstleister. In meinen Augen geht eine Digitalisierung ohne Ethos am wahren Ziel vorbei.

Warum sollte das eine rein umsatzgetriebene Firma interessieren?

Weil sich Absatz und wirtschaftlicher Erfolg mit loyalen Kund:innen besser als mit enttäuschten erzielen lässt. Die Studie „Evolve or be extinct“ betrachtet die „Evolver“ unter den Banken gesondert. Diese progressiven Geldhäuser definieren sich sowohl über ein kundenzentriertes Geschäftsmodell als auch über eine weit fortgeschrittene Digitale Transformation. Im Vergleich zur gesamten Bankenlandschaft stehen diese Evolver in vielen Business-Aspekten besser da, insbesondere in der Geschwindigkeit, in der Services und Produkte die Marktreife erlangen, im Wachstum und im Umsatz pro Kunde. Dass in diesen Unternehmen auch die Mitarbeiter glücklicher sind, ist ein weiterer positiver Nebeneffekt.

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Seit Anfang 2000 ist der diplomierte Psychologe fester Bestandteil des Teams von MUUUH! Consulting. Er berät und begleitet bis heute...

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